« Prägend für skandinavisches Design »
Hugo Alvar Henrik Aalto (1898 – 1976) ist einer der berühmtesten Designer und Architekten der Gegenwart. Ein Genie, ein Modernist, ein Philosoph. „Das Alte verschwindet nie ganz. Es wird aber auch nie in der gleichen Form wiedergeboren. Es entsteht immer wieder neu und nimmt eine andere Form an“. Das ist eine auf den ersten Blick etwas befremdliche Aussage des „Vaters des skandinavischen Modernismus“, wie Alvar gerne genannt wurde. Doch genau darin bestand die Genialität des Künstlers – im Gewöhnlichen und Schlichten das Neue, das Außergewöhnliche zu erblicken. Und genau deshalb wird der Künstler in der ganzen Welt so hoch geschätzt.
Berufen, besondere Häuser zu bauen
Seinen ersten Auftrag bekam der junge Architekt von seinem eigenen Vater. Es ging um den Umbau des väterlichen Hauses Mammula. Davor war das Architekturstudium in Helsinki und eine Reise nach Riga. Es folgten unzählige Bauwerke, die ihn weltberühmt machten. In seinen Entwürfen setzte der Meister auf organische, naturgegebene Formen. Es ging ihm stets darum, die Schönheit der klaren Linie und fließender Form zu betonen und sie dem Menschen zunutze zu machen.
Auf diese Weise entstanden besondere Bauwerke, die mit der umliegenden Landschaft verschmolzen. Das sind Häuser, deren Anblick beruhigt und begeistert. So wie zum Beispiel die originelle Heilig-Geist-Kirche in Wolfsburg, die 1962 eingeweiht wurde.
Oder das Kongress- und Konzerthaus Finlandia-Halle, 1971 eröffnet. Sogar die scheinbar schlichten Wohngebäude, darunter im finnischen Jyväskyla und in Bremen, im Stadtbezirk Neue Vahr, beeindrucken mit ihrem durchdachten Konzept und einer nahezu edlen Linienführung. In diesen Wohnhäusern sollen sich die einfachen Leute – die Häuser wurden in erster Linie für Arbeiterfamilien erbaut – wohlfühlen und maximalen Komfort genießen.
Neben der Heilig-Geist-Kirche und dem Hochhaus in Bremen stehen in Deutschland weitere prominente Bauwerke des finnischen Multitalents, darunter ein Kulturhaus in Wolfsburg und ein innovatives Theatergebäude in Essen, die heute beide seinen Namen tragen.
Schlichte Eleganz des Möbeldesigns
Nicht nur als Architekt, sondern auch als Designer machte sich Alvar Aalto einen großen Namen. Seine Ideen und Konzepte sind prägend für das nordische Design, seine Ideen wirken bis heute nach.
Im Unterschied zu vielen Zeitgenossen setzte der Künstler bei seinen Entwürfen von Möbeln oder Wohnaccessoires weniger auf Metall oder Kunststoff, sondern vielmehr auf naturgegebene Materialien wie Holz, Leder oder auch Rentierfelle. Dank dem einzigartigen Holzverformungsverfahren, das der Designer in erster Linie für die Möbelproduktion in seiner Firma Artek entwickelt hatte, konnte er seinen Traum von harmonischen Formen verwirklichen. Die Möbelstücke von Artek, das von dem Desinger zusammen mit seiner damaligen Frau Aino sowie Maire Gullichsen und Nils-Gustav Hahl 1935 gegründet wurde, zeichneten sich durch das zeitlose und funktionale Design aus. Gemütliche und unerwartet schlanke Sessel mit abgerundeten Armlehnen, großzügige, aber nicht schwerfällige Sofas oder praktische Serviertische mit übergroßen Rädern – das sind nur einige Beispiele des Möbeldesigns von Artek.
Die Entdeckung des Natürlichen
In der Aalto Vase wird die Idee der Wiederentdeckung des Alten, das eine neue Form und mit ihr einen neuen Charme bekommt, lebendig. Das Gefäß sorgte auf der Weltausstellung 1936 in Paris für Aufsehen. Erschaffen wurde sie auf Wunsch des Unternehmens Iittala, das schon immer gerne mit den führenden zeitgenössischen Künstlern kooperierte und mutige Experimente wagte.
Die Vase wird auch oft Savoy-Vase genannt, denn sie wurde zu einem der Kernelemente bei der Einrichtung des gleichnamigen Nobel-Restaurants in der finnischen Hauptstadt. Neben der Aalto Vase entwickelten der Designer und seine Frau Aino das gesamte Einrichtungskonzept für das 1937 eröffnete Restaurant. Das Konzept ist so gelungen, dass es auch 80 Jahre später nicht verändert wurde. Immer noch schmückt jeden Tisch im Savoy eine dieser typischen Vase aus grünem, gelbem oder blauem Glas.
Inspiriert wurde die gewellte Form von der launischen Küstenlinie eines typischen finnischen Sees und somit von diesem lieblichen „Alten“ und gar Ewigen, welchem der Künstler sein Leben lang auf der Spur war. Wellen liebte dieser ganz besonders, denn auch in seinem Namen rauscht eine Woge oder Welle.
Die Verbindung zum Meer
Subtile, unerwartete Verbindungen bestehen zwischen der Aalto Vase und dem flüchtigen, flüssigen Element. Das Gefäß wird – verständlicherweise – mit Wasser gefüllt. Seine Form ist eine Hommage an die Seelandschaften Finnlands und insofern eng mit dem Wasser verbunden. Außerdem besitzt die Aalto Vase eine gewisse Gottähnlichkeit. Wie der antike Meeresgott Proteus, kann die Vase verschiedene Gestalten annehmen, mal breiter, mal schmaler erscheinen, mal funkelnd leuchten, mal bar jedes Glanzes sein. Alles hängt vom Blickwinkel ab – und vielleicht auch ein bisschen von der Laune und Fantasie des Betrachters.
Die vielgestaltige Vase war, zumindest am Anfang, gar nicht so einfach herzustellen. Sieben Glasbläser brauchten bis zu 30 Stunden, um die wandlungsfähige und vielgestaltige Aalto Vase in 12 Produktionsschritten zu erschaffen. Später wurde die Herstellung vereinfacht, doch immer noch wird jede einzelne von diesen außergewöhnlichen Vasen in den Glashütten von Iittala in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Ein Original von Iittala ist und bleibt mundgeblasen.
Talentierte Frauen an seiner Seite
Die erste Frau des Designers, Aino Maria Marsio-Aalto, war zunächst seine Assistentin und später sogar eine erfolgreiche „Konkurrentin“ des Künstlers. So gelang es ihr unter anderem mit ihren schlichten Trinkgläsern die Goldmedaille bei der Triennale in Mailand, einer der weltweit bekanntesten Design-Messen, im Jahre 1936 zu gewinnen.
Die Künstlerin liebte es genauso wie ihr Mann, das Ungewöhnliche und Neue im Altbekannten zu entdecken. Sie entwarf formschöne, praktische Objekte, die indes immer eine Überraschung, eine Art „Aha-Effekt“ für den Nutzer parat hatten. Aino verstarb 1949, doch ihre Kunst lebt weiter. So stellt Iittala weiterhin die ikonischen Gläser mit den konzentrischen Kreisen her. Dieses Muster, direkt von der Natur inspiriert, erinnert an kleine Wellen, die ein ins Wasser gefallener Stein verursacht. Zugleich macht das Muster die Oberfläche griffig und ist insofern „praktisk“ – also genuin skandinavisch.
1952 heiratete Aalto die finnische Designerin Elsa (Elissa) Kaisa Mäkiniemi. Wieder stand ihm eine begabte Künstlerin zur Seite. Mit ihm zusammen gestaltete sie mehrere beeindruckende Bauwerke, darunter das Rathaus in Rovaniemi in Lappland oder das Kunstmuseum in Aalborg.
Alvar Aalto hat wie kaum ein anderer Künstler das skandinavische Design geprägt. Vielleicht sind die Gründe für seinen Erfolg in der typisch nordischen Mischung aus Einfallsreichtum, Natürlichkeit und Schlichtheit zu suchen? Oder in seiner Fähigkeit, das Neue zu erschaffen, ohne das Vorhandene zu zerstören?
Wie dem auch sei, gehören die Wohnaccessoires wie die Aalto Vase oder die Glaskunst von Aino seit Jahrzehnten zum nordischen Einrichtungsstil dazu. Nicht weil sie Kult sind, sondern weil sie vollkommen sind.